LiveWire S2 Del Mar – Liebe auf den ersten Blick
- Paddy Lectric
- vor 5 Tagen
- 7 Min. Lesezeit

Bilder: @dabuggy77
Als LiveWire die S2 Del Mar vorstellte, war es um mich geschehen. Ich war verliebt! Dieses Design, das sofort ins Auge fällt, schafft mühelos den Spagat zwischen Verbrenner und Elektro. Doch dazu später mehr.
Ziel dieses Tests ist es, dir dabei zu helfen, das passende Elektromotorrad für deine Bedürfnisse zu finden. Ich werde die Pendler-Eigenschaften, Tourentauglichkeit, die Technik und das Design des Motorrades genauer unter die Lupe nehmen und jeweils mit einem bis fünf Sternen bewerten.
Das Motorrad wurde mir von privat zur Verfügung gestellt.
Technische Daten: Leistung, Plattform, Besonderheiten
Die S2-Serie von LiveWire basiert auf der Arrow-Plattform, die unterhalb der LiveWire One angesiedelt ist. Besonders auffällig ist das Design, bei dem der Akku harmonisch in den Rahmen integriert und mit seinen Kühlrippen einem luftgekühlten Verbrennungsmotor nachempfunden ist.
Die LiveWire S2 Del Mar kommt im Flattracker-Design daher, mit 19-Zoll-Rädern, einem breiten Lenker und leicht nach vorne gebeugter Sitzposition. Sie wiegt knapp 200 kg, hat einen 10,5 kWh großen Akku und kann einphasig mit bis zu 5,2 kW AC laden (Typ2). Die Dauerleistung wird mit 30 kW (41 PS) angegeben, die Spitzenleistung liegt etwa doppelt so hoch (61 kW/83 PS). Motor- und Ladeelektronik sind flüssigkeits-, der Akku luftgekühlt.
Die einzelnen Modelle der S2-Serie (DelMar, Mulholland, Alpinista) unterscheiden sich im Wesentlichen in nur durch das Fahrwerk und den Lenker voneinander, so dass sich ein Großteil der nachfolgenden Bewertung sicher auch auf die anderen Modelle übertragen lässt.
LiveWire S2 Del Mar im Alltag: So schlägt sie sich beim Pendeln.
LiveWire bewirbt die DelMar als „das urbane Fortbewegungsmittel“, also gemacht für den Stadtverkehr und damit auch zum regelmäßigen Pendeln. Die Reichweite im City-Bereich wird mit 181 km angegeben. Ich selbst erreichte bei meinem über drei Tage verteilten Test „nur“ 151 km, jedoch muss man fairerweise sagen, dass dieser Test teilweise bei niedrigen einstelligen Gradzahlen und unter Einbeziehung einer Pendlerstrecke mit 70-km/h-Abschnitten stattfand. Im Sommer bei Geschwindigkeiten um 50-55 km/h erscheint mir die Werksangabe also realistisch. Jedoch sollte man auch bedenken, dass die Leistungsabgabe bei unter 10 % State of Charge (SoC) zu Teil erheblich gedrosselt wird, und die letzten 15 km nicht mehr wirklich Spaß bereiten. Der an der Steckdose gemessene Verbrauch betrug 6,8 kWh / 100 km.
Mit knapp 200 kg ist die DelMar zwar kein Leichtgewicht, aber auch nicht übermäßig schwer. Da der Schwerpunkt sehr niedrig liegt, ist sie leicht zu handhaben und aufgrund der niedrigen Sitzposition auch gut für vertikal herausgeforderte Fahrerinnen und Fahrer geeignet. Die Leistungsabgabe lässt sich gut dosieren und da die Rekuperation bis zum kompletten Stillstand erfolgt, lässt sich der städtische Start-Stopp-Verkehr auch im „One-Pedal-Modus“ bewältigen. Der Antriebsriemen erledigt sein Geschäft komplett lautlos (hier darf sich ein anderer US-Hersteller gerne mal eine Scheibe abschneiden), auch der Mittelmotor ist gut gekapselt und meist erst dann zu hören, wenn er ordentlich arbeiten muss.
Und ordentlich arbeiten kann er: Steht man vorne an der Ampel, genügt ein Dreh am rechten Griff und alle, die eben noch neben oder hinter einem standen, werden auf einmal ganz klein im Rückspiegel. Hui, das macht Spaß! Aber aufpassen, denn sonst ist man ganz schnell zu schnell!
Mit dem eingebauten Typ2-Ladeport lässt sich die DelMar an jeder Typ2-Ladesäule aufladen, was insbesondere Laternenparkern zu Gute kommt, die auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind. Wer an einer herkömmlichen (Schuko-)Steckdose laden möchte, ist auf einen Ladeziegel angewiesen. LiveWire liefert einen auf 2,3 kW fest eingestellten mit. Wer die Ladeleistung jedoch anpassen möchte, kann jedoch auch einen handelsüblichen einstellbaren Ladeziegel nutzen. Durch den 10,5-kWh-Akku sollten sich die meisten Pendlerstrecken mit ein bis zwei Aufladungen in der Woche abdecken lassen.
Mangelhaft sind allerdings die Verstaumöglichkeiten: Es gibt keine. Alles, was man mitnehmen möchte, muss man sich auf den Rücken schnallen: Regenzeug, Wechselwäsche, Laptop, Pausenbrot, etc. Mangels Befestungspunkten und -ösen ist auch das Mitführen von Gepäck auf dem Soziussitz schwierig. Zum Glück wird von LiveWire ein zierliches Trägersystem angeboten, das mit dem SLC-System von SW-Motech kompatibel ist und sich gut in die Optik der Maschine einfügt. Zumindest theoretisch, denn der Fahrzeugbesitzer musste leider länger suchen, bis er einen deutschen Händler fand, der ihm eines verkaufte. Es wird übrigens auch ein Topcase-Träger angeboten, jedoch sollte sich jeder, der die zierliche Linie dieses Motorrads mit einem Topcase verschandelt juristisch wegen Verschandelung eines Kunstwerks und schlechtem Geschmack belangt werden!
Dass Seitenkoffer oder -taschen das Motorrad breiter machen, ist nicht weiter dramatisch. Denn der Lenker der DelMar ist recht breit. Und das ist neben dem fehlenden Stauraum auch der Haupt-Kritikpunkt bezüglich der Pendler-Eigenschaften: Der breite Lenker stört im Stadtverkehr beim Filtern. Dass er sich auf Höhe der meisten Auto-Außenspiegel befindet, verstärkt dieses Problem.
Diese Punkte halten mich leider davon ab, die Top-Wertung zu vergeben. Aus diesem Grund bewerte ich Pendler-Eigenschaften mit vier von fünf Sternen: ★★★★☆
Tourentauglichkeit der S2 DelMar – Alltag oder Abenteuer?
Aber ist die DelMar denn auch tourentauglich? Um genau das herauszufinden, habe ich sie kurzerhand auf meine Hausrunde um den Werbellinsee entführt – mit einem durchwachsenen, aber insgesamt positiven Fazit.
Das einstellbare Fahrwerk der Del Mar ist sportlich-straff abgestimmt – ideal für glatten Asphalt, aber auf unebenen Straßen wird's schnell ruppig. Zwar schlägt nichts durch, aber Unebenheiten spürt man deutlich. Auf welligen Strecken stehe ich deshalb oft auf den Rasten, was durch die sportliche Sitzposition nicht ganz so einfach ist.
Trotzdem: Die Sitzposition ist – sportlich nach vorne geneigt – auf längeren Strecken überraschend angenehm. Die Sitzbank selbst ist hart, aber gut geformt und keineswegs unbequem. Wer eine weich gepolsterte Couch erwartet, wird enttäuscht – aber für sportliches Touren reicht der Komfort aus.
Das Cockpit bietet ein Navigationssystem auf Basis von Google Maps – funktional, aber eher für Autofahrer gedacht. Immerhin lassen sich bekannte Google-Optionen wie Autobahnvermeidung oder Fährenausschluss einstellen. An Bord sind außerdem ABS, Traktionskontrolle und ein Stabilitätsprogramm – funktioniert alles zuverlässig, auch wenn ich das Notfallpaket zum Glück nicht testen musste.
Die Bremsen sind im soliden Mittelfeld. Sie verlangen beherzten Zugriff, funktionieren aber zuverlässig. Nicht die beste Bremsleistung, die ich je erlebt habe – aber auch weit entfernt vom schlechtesten.
Das Handling ist insgesamt agil, allerdings wirkt sie in Kurven etwas träge – was wohl den 19-Zoll-Rädern vorne und hinten geschuldet ist. Auf der Landstraße hingegen fühlt sie sich pudelwohl: Am Kabel gezogen, schießt sie souverän vorbei – genau so, wie man es von einem E-Motor erwartet.
Der Akku erlaubt – zumindest bei meiner Fahrweise – eine reale Reichweite von etwa 100 bis 120 km. Auf meiner Testrunde lag der Verbrauch bei etwa 8,6 kWh auf 100 km, was realistische 110 km Reichweite nahelegt.
Geladen wird wie gesagt einphasig mit 5,2 kW Wechselstrom (AC). Mit CCS ist sie leider nicht kompatibel. Für 30 % auf 80 % braucht man bei voller Ladeleistung etwa eine Stunde – das reicht dann für gut 50 zusätzliche Kilometer. Tagestouren bis etwa 200 km sind so machbar, längere Trips erfordern Geduld und gute Ladeplanung.
Wichtig: An 11-kW-Säulen reduziert sich aufgrund der einphasigen Auslegung die Ladeleistung auf 3,7 kW. Für volle Power (5,2 kW) wird eine 22-kW-Säule (sowie ein passendes Ladekabel) benötigt. Das sollte man unbedingt vorab in der Routenplanung berücksichtigen.
Ein echter Kritikpunkt: Die Del Mar zickt beim Laden. Mehrmals startete der Ladevorgang nicht oder wurde abgebrochen. Einmal blieb der Stecker sogar blockiert – da steigt der Puls, denn nichts ist ärgerlicher als ein nicht freigegebenes Kabel mitten in der Pampa.
Auch der fehlende Stauraum macht sich auf Touren negativ bemerkbar. Denn wenn man mehr als nur 100 km plant, muss das Ladeequipment unbedingt mit. Da man es nicht am Bike verstauen kann, bleibt - genau wie für das Regenzeug - nur ein Rucksack. Das finde ich auf Touren noch viel unbequemer als auf dem Arbeitsweg.
Touren sind also möglich – wenn man Ladezeit und Routen sorgfältig plant, Ladeequipment am Körper mitführt und es in der Länge nicht übertreibt. Dann aber kann es wirklich Spaß machen! Die S2 Del Mar überzeugt mit elektrischer Power und Charakter.
Für die Tourentauglichkeit gebe ich drei von fünf Sternen: ★★★☆☆
Technik-Check: Zwischen Hightech und Frustmomenten
Technisch ist die LiveWire S2 Del Mar modern und gut ausgestattet: KeylessGo, ABS, Traktionskontrolle, Stabilitätsprogramme, RDKS, verschiedene, teilweise frei konfigurierbare Fahrmodi, App-Anbindung mit Fernverbindung, Navigation im Kombiinstrument, Over-The-Air-Updates und eine hervorragende Verarbeitungsqualität lassen - zumindest theoretisch - keine Wünsche offen.
In der Praxis erlaubt sich LiveWire aber deutliche Schwächen: Zumindest mein Telefon verlor regelmäßig die Bluetooth-Verbindung zum Motorrad, so dass die Navigation über das Display nicht mehr möglich war. Immerhin lief die App weiter und gab über das Headset weiterhin verbale Anweisungen. Dabei fällt auf, dass sie bei Abweichungen von der Strecke sehr lange an der ursprünglich geplanten Strecke festhält und auf Biegen und Brechen versuchte, mich wieder auf die alte Route zurück zu führen, anstatt eine Alternative zu berechnen.
Auch habe ich keinen Weg gefunden, einen anderen Zielladezustand als 100 % vorzugeben. Ein akkuschonendes Laden bis 80 % war mir also nicht möglich. (Im Nachgang wurde ich darauf hingewiesen, dass diese Funktion in der Tat implementiert ist, sich jedoch nicht sehr intuitiv tief in den Einstellungsmenüs versteckt.) Dafür war es mir jedoch auch in abgeschaltetem Zustand möglich, das Ladekabel zu entriegeln und von der Maschine zu entfernen.
Und als sei dem noch nicht genug, verliert die Maschine auch in ausgeschaltetem Zustand an Ladung. Über Nacht gehen gerne mal 2-4 % SoC verloren. Plant man, die Maschine wochenlang stehen zu lassen, sollte sie randvoll geladen werden. Und ist es morgens sehr kalt, verbrauchen sich auf den ersten paar hundert Metern gerne nochmal 2 %. Ich hege die Vermutung, dass ich, wenn ich den Pendler-Reichweitentest an nur einem Tag durchgeführt hätte, gerne 10 km weiter gekommen wäre.
Schade, denn die technische Ausstattung hätte, würde sie einwandfrei funktionieren, eine deutlich höhere Wertung verdient. So vergebe ich für die Technik jedoch leider nur drei von fünf Sternen: ★★★☆☆
Design & Styling: Klassische Schönheit trifft moderne Coolness
Das Design der S2 Del Mar ist einerseits modern, andererseits klassisch. Die klare Linienführung und die hochwertige Verarbeitung machen sie zu einem echten Hingucker auf der Straße. Die gefrästen Kühlrippen lassen den schräg verbauten Akku wie den vorderen Zylinder eines V2s von Harley aussehen. Dass man es hier nicht mit einem Verbrenner zu tun hat, sieht man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Es ist einfach ein bildschönes Motorrad, vollkommen unabhängig von der Antriebstechnik.
Schon lange nicht mehr wurde ich so viel auf meinen fahrbaren Untersatz angesprochen, teilweise sogar von Kollegen, die sonst nichts mit Motorrädern am Hut haben. Manche Elektromotorräder schreien die Betrachterin oder den Betrachter förmlich „ELEKTRO!!!“ an. Die DelMar nicht. Sie polarisiert nicht, sondern ruht in sich und sieht einfach nur gut aus. Eine klassische Schönheit.
Daher kann es in der Kategorie Design & Styling nur fünf von fünf Sternen geben: ★★★★★
Fazit zur LiveWire S2 Del Mar: Zwischen Schwärmerei und Realität
Ich war verliebt. Das Styling der DelMar hat mich voll in ihren Bann geschlagen. Deshalb war ich sehr glücklich, dass ich das Motorrad ausgiebig testen durfte. Sie ist bildschön, klassisch und modern zugleich. Und zumindest auf dem Papier überzeugen auch ihre inneren Werte.
Doch die Praxis zeigt, dass auch Schönheiten nicht perfekt sind, sondern ihre Fehler haben. Manches lässt sich beheben: Ein Gepäcksystem kann man nachrüsten, die Schwächen in der Software lassen sich durch Updates beheben. Alle anderen Schwächen muss man akzeptieren, oder besser noch: Lieben lernen.
Wer bereit ist, sich voll auf die DelMar einzulassen, wird mit ihr sicher glücklich werden. Und wenngleich ich keine Schmetterlinge mehr im Bauch habe, so mag ich sie und freue mich, dass es sie gibt. Doch ich bin jetzt wieder frei und bereit, mich erneut zu verlieben…
Dieser Artikel von uns freundlicherweise von den STECKERBIKERN zur Verfügung gestellt und ist hier zu finden.